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Nach Herzstillstand: Neurologische Probleme bei jedem Dritten

  • Nach Herzstillstand: Neurologische Probleme bei jedem Dritten

    Durchschnittlich 21 Menschen pro Tag widerfährt in der Schweiz das, was Bundesrat Hans-Rudolf Merz am Samstag passiert ist: Ihr Herz steht plötzlich still. Damit bricht ihr Kreislauf zusammen, und die Versorgung ihrer Organe mit dem lebenswichtigen, sauerstoffhaltigen Blut kommt abrupt zum Stillstand. Nur ein Bruchteil erreicht das Spital lebend. «Gesamthaft überleben zwei bis sechs Prozent der Betroffenen in der Schweiz einen Herzstillstand», sagt Gabor Sütsch, Herzspezialist am Herzzentrum Hirslanden.

    Nach einem Herzstillstand zählen Sekunden: Selbst mit optimaler Hilfe durch eine kompetente Rettungskette sinkt die Überlebenschance mit jeder Minute Zeitverlust um zehn Prozent. Rettungskräfte treffen hier zu Lande im Durchschnitt jedoch erst nach acht bis zehn Minuten ein – für die lebenswichtigen Organe ist das zu lang. Der häufigste Grund für die schlechte Prognose ist fehlende Hilfe durch Laien, klagt der St. Galler Notfallmediziner Dieter von Ow. «In manchen Regionen Kanadas zum Beispiel beträgt die Überlebensquote bis zu 30 Prozent», gibt er zu Bedenken.

    In städtischen Gebieten wie Zürich sind die Überlebensraten zwar etwas besser als im Gesamtdurchschnitt: Hier überstehen rund 15 Prozent der Patienten einen Herzstillstand – allerdings mit unterschiedlichem Ausgang. Etwa jeder Dritte trägt einen neurologischen Schaden davon – zum Beispiel Probleme mit dem Gedächtnis, der Konzentration, dem Verstehen oder der Körpermotorik. Zurückzuführen ist dies auf den Sauerstoffmangel, bei dem Hirnzellen absterben.

    «Im Einzelfall muss man sich sehr vor einer Prognose hüten. Ich habe schon zuviel gesehen, das man zunächst für unmöglich gehalten hat», warnt der Neurologe Urs Schwarz vom Zürcher Unispital. Dem pflichtet Gabor Sütsch bei. Eine seiner Patientinnen beispielsweise habe nach erfolgreicher Wiederbelebung über vier Wochen im Koma gelegen. «Man dachte, das wird nicht mehr», erinnert er sich. Heute aber freue sich die Frau ihres Lebens und arbeite zu 50 Prozent.

    Hirnströme werden erfasst

    Um die Hirnfunktion bei Patienten wie Merz während des künstlichen Komas abzuschätzen, behelfen sich die Ärzte mit dem so genannten Bispektralen Index (BIS). Dabei werden die Hirnströme erfasst und umgerechnet. Der BIS dient normalerweise dazu, die Tiefe einer Narkose zu messen. Je nachdem, wie hoch dieser Index ist, schliessen die Mediziner daraus auf die Hirnaktivität. «Es gibt allerdings noch keine Daten darüber, wie aussagekräftig der BIS ist. Er liefert lediglich einen Hinweis», schränkt Notfallmediziner von Ow ein.

    Grosshirnrinde als fragilster Bereich

    Der fragilste Bereich des Gehirns ist die Grosshirnrinde. Dort sitzen wichtige geistige Funktionen wie die Sprache, Sinneswahrnehmungen und ein grosser Teil der Motorik. «Der wichtigste Test bei einem solchen Patienten ist deshalb der Aufwachtest», sagt Urs Schwarz, Neurologe am Zürcher Universitätsspital. Nachdem die beruhigenden und schlafinduzierenden Medikamente abgesetzt seien, lasse sich erstmals prüfen, ob der Kranke auf Anweisungen reagiere, ob er Arme und Beine bewegen könne, ob sein Gedächtnis funktioniere. Auch Computertomogramm und MRI könnten helfen, indem sie zum Beispiel das Ausmass einer möglichen Hirnschwellung zeigen würden, so Schwarz. Differenzierte Ableitungen der Hirnströme, bei denen zum Beispiel bestimmte Nervenbahnen gezielt gereizt werden, gehören ebenfalls zum Untersuchungsrepertoire der Neurologen.

    Die häufigsten Ursachen für den Herzstillstand sind – wie bei Merz – in etwa 90 Prozent der Fälle Verengungen in den Herzarterien, die plötzlich durch ein Blutgerinnsel verstopfen. Dadurch leidet das Herz an akutem Sauerstoffmangel, der Herzschlag gerät zuerst aus dem Takt, häufig kommt es zum Herzrasen und schliesslich zum gefürchteten Kammerflimmern, wie im Fall von Hans-Rudolf Merz. «Spätestens beim Kammerflimmern verliert der Betroffene das Bewusstsein», sagt Gabor Sütsch.

    Um die Verengungen in den Herzarterien zu beseitigen, greifen die Medziner zu zwei Mitteln: Entweder dehnen sie die Engstellen auf und setzen ein feines Gitterchen (Stent) ein, um die Stelle offen zu halten. Oder sie legen einen Bypass, schliessen also ein Blutgefäss als Umgehungsweg an (siehe Grafik). «Das wird gemacht, wenn die Arterien an zu vielen Stellen verengt sind oder wenn der Hauptast betroffen ist», erläutert Sütsch.